Konkrete Vorhaben blieb der Gipfel schuldig. Einen weiteren Fahrplan gibt es – wenn auch ohne spezifischen Zeitplan – trotzdem.

Foto: Imago / Manuel Geisser

Von einer Senkung der Mehrwertsteuer bis hin zu einer transparenten Preisdatenbank – im Vorfeld des Lebensmittelgipfels wurden etliche Maßnahmen diskutiert, um die stark gestiegenen Preise für Lebensmittel in den Griff zu bekommen. Von Einigkeit in diesen Fragen waren Regierung, Sozialpartner, Branchenvertreter und Expertinnen bisweilen weit entfernt.

Bei dem von Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) initiierten Gipfel am Montag sollten nun grundlegende Fragen geklärt und Maßnahmen gemeinsam erörtert werden. Sind also jetzt konkrete Handlungen in Sicht?

Frage: Warum gerade jetzt der Lebensmittelgipfel, die Teuerung ist ja bereits seit Monaten hoch?

Antwort: Der Umstand, dass europaweit die Inflationsrate sinkt, während sie in Österreich beharrlich über dem Eurozonenschnitt liegt und laut Schnellschätzung im April sogar wieder auf 9,8 Prozent gestiegen ist, bereitet auch der Politik Sorgen. Sozialpartner und Opposition werfen der Regierung Untätigkeit und Unfähigkeit vor. Dass Handlungsbedarf herrscht, darüber gibt es Konsens. Mit welchen Maßnahmen man vorgehen sollte, darüber herrscht weitgehend Uneinigkeit.

Frage: Sind die Lebensmittelpreise in Österreich tatsächlich so deutlich gestiegen?

Antwort: Zumindest sind die Lebensmittelpreise in den vergangenen zwei Jahren schneller gestiegen als der Rest der Verbraucherpreise, wie Daten der Statistik Austria belegen. Generell wurden Grundnahrungsmittel überdurchschnittlich stark teurer. Bei Butter, Milch oder Mehl liegen die Preise jeweils um knapp ein Drittel über dem Niveau von vor zwei Jahren. Was Konsumentenschützer zuletzt arg beschäftigte, waren vor allem erhebliche Aufschläge auf Eigenmarken der Supermärkte, die sich im Preiseinstiegsbereich bewegen.

Frage: Wie sieht das in anderen Ländern aus?

Antwort: Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) bestätigte jüngst im STANDARD-Interview, was die Arbeiterkammer (AK) regelmäßig ermittelt: Österreich habe seit Jahrzehnten ein etwas höheres Niveau an Lebensmittelpreisen als Deutschland. Die Differenz, so Kocher, betrage je nach Untersuchung fünf bis 15 Prozent. Was nun den Anstieg der Lebensmittelpreise betriff, so sei er in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern im vergangenen Jahr unterdurchschnittlich gewesen. Im EU-Vergleich verteuerten sich Lebensmittel im März im Jahresabstand um 14,6 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland lag der Preisauftrieb in diesem Zeitraum bei 23 Prozent.

Frage: Was schlagen Experten und Expertinnen vor?

Antwort: Wifo-Chef Gabriel Felbermayr etwa forderte die Regierung jüngst dazu auf, mehr über Maßnahmen gegen die Teuerung nachzudenken. Auch die von ihm bisher abgelehnte Senkung der Umsatzsteuer auf Nahrungsmittel (die auch Finanzminister Magnus Brunner, ÖVP, ablehnt, Anm.) dürfe kein Tabu sein. Brunner bekundete in der Ö1-Reihe "Im Journal zu Gast" Sympathie für das französische Modell, bei dem sich Lebensmittelhändler und Regierung darauf verständigt haben, bei bestimmten Lebensmitteln für ein Quartal die Preise nicht anzuheben. Zuvor hatte die grüne Klubchefin Sigrid Maurer eine Senkung der Mehrwertsteuer ins Spiel gebracht. Eine solche wird von Arbeiterkammer, SPÖ und Gewerkschaft seit Monaten gefordert. ÖGB-Chefökonomin Helene Schuberth etwa forderte jüngst erneut ein Aussetzen der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, etwa Brot, Mehl, Nudeln, Reis, Butter et cetera. Dazu brauche es "eine unabhängige, sozialpartnerschaftliche Antiteuerungskommission" als zentrales Instrument, um sicherzustellen, dass es nicht zu ungerechtfertigten Preiserhöhungen komme. Der Direktor des Instituts für Höhere Studien, Klaus Neusser, ist grundsätzlich gegen eine Senkung der Umsatzsteuer auf Lebensmittel, betonte er am Sonntag in der ORF-"Pressestunde". Er plädiert für Kaufkraftstärkung und Unterstützungsleistungen für die unteren Einkommensgruppen.

Frage: Was ist das Problem bei Preisbremsen?

Antwort: Staatliche Preisdeckel halten oft weniger, als sie versprechen. Ungarn etwa wollte die Teuerung bekämpfen, indem Preise für wichtige Lebensmittel wie Eier, Zucker, Mehl und Öle künstlich niedrig gehalten wurden. Einzelhändler waren gezwungen, Produkte unter dem Einkaufspreis zu verkaufen. Um selbst nicht kräftig draufzuzahlen, erhöhten sie die Preise anderswo. Ungarn hat mittlerweile mit knapp 46 Prozent die höchste Lebensmittelpreisinflation in der EU. Explodiert sind die Preise vor allem bei Milchprodukten und Backwaren.

Frage: Was soll die angestrebte Transparenz bei den Preisen bringen?

Antwort: Ein Instrument, das diskutiert wird, ist ein fixer repräsentativer Warenkorb, anhand dessen Einkaufs- und Verkaufspreise ausgewählter Produkte gemessen werden können. Politisch wieder ins Spiel gebracht wurde auch eine Preisdatenbank nach Vorbild des Spritpreisrechners, die tagesaktuell Einblick in die Kosten von Lebensmitteln geben soll. Wifo-Chef Felbermayr empfiehlt als ersten Schritt, "bei den 20 bis 30 wichtigsten Lebensmitteln wirkliche Preistransparenz herzustellen". Wenn die Kundinnen und Kunden wüssten, wo die Preise am günstigsten sind, würde dies den Wettbewerb im Handel verstärken. Dies würde, anders als die Streichung oder Reduktion der Mehrwertsteuer, "auch nichts kosten". Wifo-Inflationsexperte Josef Baumgartner zeigte sich allerdings skeptisch, weil dies Betriebsgeheimnisse der Produzenten und der Lebensmittelhandelsketten seien, "und die werden diese Daten nicht freiwillig hergeben".

Frage: Was passiert jetzt schon?

Antwort: Die Branche ist bereits seit Oktober 2022 unter verstärkter Beobachtung der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB), die seither eine Branchenuntersuchung im Lebensmittelsektor durchführt. Mitte März erging eine Onlinebefragung an 500 Lieferanten der vier größten österreichischen Lebensmitteleinzelhändler. Darüber hinaus schickte die BWB an Lebensmitteleinzelhändler Auskunftsverlangen zu Geschäftsdaten. Neben dem Lebensmittelhandel untersuchen die Wettbewerbshüter auch die vorgelagerte Stufe der Lebensmittelverarbeitung. Die Untersuchung des Lebensmittelsektors dauert laut BWB voraussichtlich bis Herbst 2023.

Frage: Was wurde beim Gipfel besprochen?

Antwort: Etwas mehr als zwei Stunden wurde über Analysen der derzeitigen Situation diskutiert und herumschwirrende Vorschläge erörtert, sagte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) in der anschließenden Pressekonferenz am Montagvormittag. Zur Sprache kamen die bereits vorab diskutierten Maßnahmen rund um Mehrwertsteuersenkung, Transparenzdatenbank und freiwillige Vereinbarungen nach dem französischen Modell. Konkrete Maßnahmen blieben die vor die Pressevertreterinnen und -vertreter tretenden Minister und Branchenvertreter aber schuldig.

Frage: Mit welchen Maßnahmen ist nun zu rechnen?

Antwort: Einig dürfte man sich dabei geworden sein, dass es mehr Transparenz bei den Lebensmittelpreisen braucht. Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) sprach im Anschluss an die Gespräche davon, dass die Erzeugerpreise in der Landwirtschaft zwar sinken, man davon aber wenig "an den Supermarktkassen" merke. Auch für Sozialminister Rauch ist die "Weitergabe vom Hersteller bis zum Endkonsumenten nicht nachvollziehbar". Erste Zusagen zu mehr Transparenz gab es vom Handelsverband. "Wir haben uns dazu verpflichtet, die Transparenzanstrengungen zu intensivieren", bestätigte Handelsverbandgeschäftsführer Rainer Will. Begonnen werden soll nun damit, "die 20 bis 30 günstigsten Eigenmarkenprodukte auf unseren Websites zur Verfügung zu stellen".

Frage: Was ist mit den anderen Ideen?

Antwort: Laut Sozialminister Rauch macht eine Mehrwertsteuersenkung "nur dann Sinn, wenn klar ist, dass sie auch weitergegeben wird". Die konkrete Ausgestaltung müsse daher in enger Absprache mit der Bundeswettbewerbsbehörde erfolgen. Etwas konkreter wurde Vizekanzler Kogler. Wenn es eine Senkung gebe, dann "bei den Grundnahrungsmitteln". Bei anderen diskutierten Maßnahmen, etwa einer freiwilligen Vereinbarung der Handelsketten nach dem französischen Modell, gab es hingegen kaum Fortschritte. Rauch verwies lediglich auf das Problem der Treffsicherheit in Frankreich und sprach davon, die Möglichkeit "weiter prüfen" zu müssen. Handelsverbandchef Will hingegen lehnte die Idee ab. Statt den Handel in die Pflicht zu nehmen, könne auch "der Bund einmal weniger einnehmen". Am konkretesten wurde es noch im Hinblick auf die Unterstützung von Tafeln und Sozialmärkten. Landwirtschaftsminister Totschnig kündigte eine "enge Kooperation" der Landwirtschaft mit der Wiener Tafel an, und auch Rainer Will sprach von künftigen "Warenspenden".

Frage: Wie geht es nun weiter?

Antwort: Sozialminister Rauch und Landwirtschaftsminister Totschnig verwiesen auf die "nächste Runde der Gespräche" mit Wirtschaftsminister Kocher, die noch diese Woche geplant ist. Auch die Bundesregierung werde nun weitere Schritte diskutieren und die Maßnahmen im Hinblick auf ihre Wirkung überprüfen. Eine Entscheidung werde es "rasch geben", stellte Rauch in Aussicht. "Dass die Preise übermorgen sinken, kann ich nicht garantieren." Vielmehr gehe es wohl "um Wochen". (Regina Bruckner, Nicolas Dworak, 8.5.2023)